Freitag, 26. Mai 2017

Stimmen

Ich habe Stimmen gehört - bin in Marburg bei der Nacht der Stimmen gewesen.
Seit 25 Jahren veranstaltet das KFZ, ein zu meiner Zeit gegründetes Kulturzentrum, oben im Schlosspark ein A-Cappella-Festival, ich war nie dort. C. meinte, der Schloßberg sei damals für unsereins unbetretbar gewesen, denn da oben war die Bourgoisie. Jetzt waren also wir da oben.
Der Schlosspark ist eine Idylle: ein dichter grüner Rasen unter uralten Bäumen, hie und da lagern malerische kleine Gruppen von Akademikern oder spielen anmutig Federball, mittendrin die Schlossparkbühne. Es war zwar gut besucht, aber nicht voll, sehr angenehm. Vier Gruppen traten auf, zu Beginn immer eine aus Marburg, in unserem Fall The Ladies Voice: vier reifere Damen mit reiferen Jazz-Klassikern. Für die war 18 Uhr im Sonnenschein nicht gut, das wäre was für Mitternacht gewesen:


Dann kam eine Gruppe aus Berlin, die wirklich richtig toll waren und unglücklicherweise von den Veranstaltern nicht als Höhepunkt an den Schluss gesetzt worden waren - eine krasse Fehlentscheidung! Es war YeoMen aus Berlin. Sprich: Jo-Män.




Dass die Leute auf der Bühne gut singen können, erwartet man ja, aber diese Jungs waren noch dazu das, was man als authentisch bezeichnet - die höchste Kunst in der darstellenden Kunst. 
Wir durften mitmachen, der zu singende Refrain wurde auf einer Tafel hochgehalten ("Bäm"), die Schwelle war, da sie aus Berlin seien, möglichst niedrig gehalten. Bei einem Lied konnte man eine Banane gewinnen, wenn man an einer bestimmten Stelle aufstand, laut krähte, sich dreimal um sich selber drehte und dann wieder setzte. Einem Zuschauer gelang das Kunststück tatsächlich. Die Bananen waren signiert. Und mein Herz gewannen sie sowieso, weil sie wunderbar Ich will kein Engel sein von Rammstein sangen. 

In der Pause eine weitere Offenbarung: Pommes! Sowas bin ich ja nicht mehr gewöhnt, dass ich mir eine Portion Pommes kaufen kann, noch dazu für nur 2 Euro! Ich war auf einem anderen Stern.

Nach der Pause kam Camerata aus Weißrussland - total gute Profimusiker/innen, aber Kostüme, Show und Lieder atmeten einen etwas veralteten Stil, den die Ländern aus dem Osten hin und wieder noch haben. In der Beschreibung stand etwas von einer geheimnisvollen Welt von Sound und Harmonie, in die wir entführt werden. Nie gehörte Wunderklänge lasssen vor dem geistigen Auge Bilder entstehen. Man glaubt zu schweben. Es waberten dann auch Nebelschwaden und es waberten Meldodien... das konnte ich nicht so gut vertragen. Ich bin ja eh nicht so der Typ für Entführungen in geheimnisvolle Welten.

Zum Schluss dann nochmal Berliner: Delta Q. Der Ansager sagte, man hätte sie als Highlight an den Schluss gesetzt, weil ihre CD in den USA als beste europäische A-Cappella-CD ausgezeichnet wurde, aber - ein Fehler. Sie hatten sich wahrscheinlich mal YeoMen angesehen und sich gesagt, das machen wir jetzt auch: wir reden mit dem Publikum, wir - so kündigte das der Leadsänger an - geben was von uns preis.



Was sie preisgaben war die völlige Unfähigkeit, auf einer Bühne irgendetwas anderes zu tun als zu singen. Sie krampften sich in einer so verzweifelten Weise durch unsäglich peinliche Statements und Enthüllungen und banale Geschichtchen, dass C. neben mir ächzte vor Qual. Aber so ist das mit den Menschen, der Mensch ist so. Er liegt häufig daneben, auch wenn er sich viel Mühe gibt.
Schön war der Abend, wir gingen durch den Schlosspark zurück zum Auto und tranken zu Hause noch einen Schnaps.

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