Mittwoch, 25. Januar 2017

Arbeiten

Gestern war ich bei einer Veranstaltung der GLS-Bank zum Thema Bedingungsloses Grundeinkommen. Es sprach Börries Hannemann von Neopolis. Ein sehr spannendes Thema, weil man damit das Denken ändert, nicht nur die Finanzsituation. Er sagte sie wollen, dass die Sanktionen bei Nichterfüllung von Auflagen für Hartz4-Empfänger/innen aufhören und haben eine Initiative gegründet, die dagegen klagt. Und sie bekommen vor dem obersten Gericht immer Recht, ganz automatisch, weil der Staat niemand verhungern lassen darf. Auf diese Weise wollen sie nach und nach den Staat umlenken: keine Sanktionen mehr.
Das Allerbeste war: er sagte, wir sollen alle kündigen. Nicht so direkt, aber ich habe es so hören können. Es ging um selbstbestimmtes Arbeiten, kein Mensch sollte beherrscht von Vorgesetzten an einem weisungsbezogenen Arbeitsplatz arbeiten. Er selbst hatte ein Jahr angestellt gearbeitet, dann hatte er genug und schmiss hin. Das ist überholt, antiquiert und kontraproduktiv, diese Art der Sklaverei. Ich glaube ja, dass das furchtbare Auswirkungen auf uns haben kann, ohne dass wir das merken. Weil diese Macht sich als so selbstverständlich generiert, als wäre sie natürlich. Es gibt bei uns z.B. einen Tonfall für Sachbearbeiterinnen und einen für Abteilungsleiter. Zwei verschiedene Tonfälle.
HIer ist ein interessantes Interview aus der ZEIT vom Juli 216: Der ehemalige US-Gewerkschaftsboss Andrew Stern wirbt für ein bedingungsloses Grundeinkommen als neuen amerikanischen Traum. Wie passt das zum Arbeitsethos der USA?
Er sagt:
"Ein Grundeinkommen hilft, dass jeder ein tragendes Standbein hat und sein Spielbein selbstständig entwickeln kann, auch wenn der Job weg ist."
Mein Spielbein schreitet nach Australien.

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Heute stand in der Süddeutschen, dass die Bienen, die im Winter nichts zu tun haben, sich nützlich machen, in dem sie mit ihren Muskeln vibrieren, um ihre Königin zu wärmen. Tüchtige, sportliche  Bienen.


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Heute wieder beim Gericht: am Vormittag ein syrischer Asylbewerber aus Frankfurt, der hier am Busbahnhof mit fast einem Kilo Haschisch erwischt worden ist. Ganz einfach, bei einer Routine-Passkontrolle. Die Polizisten fanden in seinem Rucksack eine Plastiktüte mit 10 Platten einer dunklen Substanz. "Eine syrische Süßigkeit", behauptete der Angeklagte. Sie machten einen Drogentest, aber der war in dem heißen Sommer letztes Jahr kaputtgegangen und funktionierte nicht mehr. Polizistenalltag. Zum Glück hatten sie einen Drogenhund da, der meldete sofort: Hasch!
Der Angeklagte, ein spindeldürrer, dunkler Mensch, saß die ganze Zeit mit dem Rücken zu uns und starrte besorgt seinen Übersetzer an. In einer langen Reihe saßen sämtliche Polizisten, die mit ihm zu tun gehabt hatten. Sie mussten dann raus und wurden nacheinander wieder reingerufen. Der Richter stellte ihnen allen nacheinander genau diesselben Fragen und sie antworteten alle dasselbe. Also: niemand log. Dann wurde die Verhandlung abgebrochen, weil ein Gutachten fehlte. Ein Polizist hat Humanmaterial von der Plastiktüte geschabt, in der die Platten mit dem gepressten Hasch verpackt gewesen waren, das war noch im Labor. In zwei Wochen werden wir weitermachen.

Am Nachmittag dann ein Mann um die dreißig, ein netter, total harmloser Typ, der eifrig und tollpatschig wie ein junger Welpe die Fragen des schlechtgelaunten Richters beantwortete, mühsam in Schach gehalten von seiner verhärmten, sarkastischen Rechtsanwältin.
Er hatte einem 15-Jährigen Bekannten in siebzig Fällen ein wenig Haschisch geschenkt oder zum Selbstkostenpreis verkauft, das er von einem Freund besorgt hatte, der professionell eine Plantage betrieb. Dann kam der Dealer ins Gefängnis und wurde u.a. auch für diese Sache verklagt: einen Minderjährigen beliefert zu haben. Die Mutter des Dealers überredete nun unseren Angeklagten, er solle zur Polizei gehen und sagen, dass er es war, der dem Jugendlichen das Hasch gegeben hatte. Ihm würde nichts passieren. Eine Geldstrafe, aber die würde die Mutter zahlen. Allenfalls eine Bewährungsstrafe.
Tatsache ist: ihm drohten für jede der 70 Transaktionen ein Jahr Gefängnis. In der Theorie also 70 Jahre, und nicht auf Bewährung. Denn die Gesetze sind extrem streng, was Erwachsene angeht, die Jugendliche mit Rauschgift versorgen. Das hat er natürlich nicht gewusst. Der Junge hatte ihn derartig bedrängt und unter Druck gesetzt, er konnte dem nicht auskommen. In den Verhören hatte der Junge gesagt: "Das ist so ein Depp, mit dem kannst du alles machen."
Jedenfalls glaubte er der Mutter des Dealers und zeigte sich selbst an. Ein Rechtsanwalt hatte noch versucht, ihn zu retten ("Halt den Mund, sonst sperrn's dich weg!"), aber er begriff einfach nichts. Kam sofort ins Gefängnis.
Dort saß er nun schon zwei Monate. Der Jugendliche, der von dem Kriminalbeamten als extrem kaltschnäuzig und abgebrüht bezeichnet wurde, war mittlerweile wegen einer anderen Sache ebenfalls haftiert und wurde nun von zwei Polizisten in Handschellen vorgeführt. Ein gutaussehender Teenager, er saß breitbeinig im Zeugenstuhl, starrte uns an und sagte:
"Ich habe eine Frage: warum bin ich eigentlich hier?"
Der Richter sagte: "Um als Zeuge auszusagen."
Er sagte: "Ich mache von meinem Zeugenverweigerungsrecht Gebrauch."
"Aber warum denn?" fragte der Richter verblüfft. "Sie haben bei der Polizei doch schon ausgesagt."
Der Jugendliche starrte den Richter aufmerksam an und schwieg.
Der Richter zuckte mit den Schultern: "Da bin ich machtlos."
Die Polizisten zückten die Ketten und der Jugendliche wurde wieder weggebracht. Nicht ohne vorher zu versuchen, mit dem "Depp" zu plaudern. Dessen Bewacher warf sich dazwischen. Der Junge fuhr ihn böse an, der Polizist aber schnauzte zurück. 
Die Verhandlung ging weiter. Man einigte sich grundsätzlich erstmal auf einen minder schweren Fall, angesichts der Harmlosigkeit und Naivität des Angeklagten, d.h. heißt für jede Straftat gab es nur drei Monate statt einem Jahr. Die Staatsanwältin forderte dann insgesamt 4 Jahre und 6 Monate, die Verteidigerin nicht über 2 Jahre und die auf Bewährung. Der Angeklagte hatte das letzte Wort. Er sprang so hastig auf, dass sein Stuhl zurückknallte und rief:
"Es tut mir leid und es wird nie wieder vorkommen!"
Dann stand er da und ließ den Richter, der uninteressiert in den Akten wühlte, nicht aus den Augen.
"Sie können sich wieder setzen", murmelte die Anwältin schließlich. Verstört suchte er nach seinem Stuhl.
 Wir gingen raus zur Beratung. Ich hätte mich der Bewährungsstrafe angeschlossen, aber der Richter und die andere Schöffin wollten ihn im Gefängnis sehen: 2 Jahre und 3 Monate gaben sie ihm, ich konnte mich nicht durchsetzen.
"Der braucht einen Schuss vor den Bug!" erregte sich die Schöffin und der Richter brummte behaglich, während er das Urteil schrieb: "Dummheit schützt vor Strafe nicht."
Als der Richter das Urteil verkündete, kamen dem Angeklagten die Tränen. Er versuchte ungeschickt, es mit einem hilflosen Lächeln zu vertuschen. Bis zum Schluss konnte er den Richter nicht aus den Augen lassen.