Sonntag, 11. Juni 2017

Ramallah

Ramallah im Ramadam kurz vor Sonnenuntergang.
Gestern waren wir in Ramallah. Wir mussten einen palästinensischen Bus nehmen, unseren hätten sie nicht hineingelassen, und wir hatten einen deutschsprachigen Führer namens Suleiman, einen christlichen Palästinenser von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Und seine nette Tochter, die in Berlin studiert. Die meisten Mädchen gehen ins Ausland, zum studieren, sagte sie.
Suleiman sagte, im Ramadam sind die Freitage in Jerusalem ein sich steigernder Alptraum, am schlimmsten ist der vierte, da muss man Jerusalem meiden. Menschenmassen.
In Ost-Jerusalem leben ca. 180.000 Leute, die da nicht hingehören, "neue Gäste" nannte Suleiman sie mit feinem Lächeln. Die Palästinenser dort sind jordanische Staatsbürger auf unbestimmte Zeit mit israelischem Ausweis. Sie können in den Vierteln der Israelis nicht wohnen, nicht vom Gesetz her, aber von den Bewohnern dort, man lebt streng getrennt in der Stadt, auch wenn man zusammen arbeitet und Politik macht etc., sie scheinen sich gut zu arrangieren im Alltag. Eine Benachteiligung bleibt, da Palästinenser hauptsächlich im Niedriglohnsektor sind. Viele sind im medizinischen Bereich: Ärzte/innen und Pfleger/innen. Seit 1993 braucht man eine Erlaubnis, um nach Jerusalem reinzukommen.
Eine Kopie der Berliner Mauer trennt die Westbank von Zone C. Palästinenser aus der Zone müssen durch einen Checkpoint, um ein paar Straßen weiter jemand zu besuchen. Und Checkpoint ist Stress. Nur die Auto mit israelischen Kennzeichen kommen einfach durch.
Die Zone C dort hat es schlecht: Israel fühlt sich für nichts zuständig und will dort nichts tun (Müll!), palästinensische Behörden dürfen dort nichts tun, es ist eine herrenlose Gegend, d.h. dort wird ohne Genehmigung gebaut und es herrscht totales Chaos. Laut Suleiman.
Ramallah ist eine Ausnahmestadt, es ist ziemlich wohlhabend. Früher war es rein christlich, heute gibt von 180.000 Einwohnern nur noch 12.000 Christen.

Werbung für ein koffeinhaltiges Limonadegetränk.
Wir hatten etliche Referenten/innen in einem Hotel und durchwanderten die Altstadt. Ich muss mal meine Aufzeichnungen durchstöbern, aber ein andermal.

Momentan sitze ich auf der Dachterrasse, ein kühler Wind geht, was schön ist bei den 35 bis 40 Grad, die es hier immer hat und ich schaue über die Hügel der Stadt, die sich in der Ferne im Dunst verlieren.
Vom Toten Meer hierher fuhren wir durch ein Stück Wüste - sie ist im Umkreis von Jerusalem von Nomanden besiedelt, das fand ich unglaublich. Mitten zwischen den staubtrockenen Wüstenhügeln, wo nicht mal irgendein Gestrüpp zu sehen ist, nur Steine, Sand und Steine, haben sich Nomaden in winzigen Blechhütten und Holzverschlägen niedergelassen in der gnadenlosen Sonne, ein dürres Pferd daneben angebunden, das sich ratlos umsah.
Also: so eine Kluft wie zwischen Tel Aviv, wo am Freitag die Schwulenparade die Stadt in Aufregung versetzte, und diesen trostlosen kleinen Wüsten-Elendsvierteln habe ich noch nie gesehen. Außer vielleicht in Dakar damals, da gab es das auch.

Hungerstreikende. Überall in Ramallah hingen die Plakate.
Arafats Grab.
Am Abend dieses Tages:
Heute hatten wir den ganzen Tag wieder Ron Shatzberg als Guide. Den finde ich richtig, richtig gut:
Er ist Sicherheitsexperte der Economic Co-operation Foundation (ECF), Tel Aviv, und Reserveoffizier der Israelischen Armee im Rang eines Oberst. Seine gegenwärtige Arbeitsschwerpunkte sind jordanisch-israelische Beziehungen, Grenzfragen und grenzüberschreitende Koopereationsstrategien. Er lebt hier in der Nähe in einem Kibbuz. So ein rothaariger, sommersprossiger Israeli, der total gut organisiert ist und unheimlich klar, ruhig und genau.
Mir war das garnicht klar: 60 % von Israel ist Wüste, d.h. wenn man sich die Landverteilung zwischen Palästina und Israel ansieht, dann haben die Palästinenser zwar nur 22 % von Israel, aber es sind 22 % von den 40 % des bewohnbaren Landes. 6 % der Israelis leben in der Wüste und 70 % leben in einem Teil, das nur ein Drittel der Fläche der Westbank hat. Es ist einfach sehr, sehr voll.

Nach der zweiten Initifada 2000 wurde die Westbank komplett mit einem Zaun umgeben, der jede Bewegung registriert. Ost-Jerusalem und West-Jerusalem sind zwei getrennte Bereiche. Palästinenser dürfen rüber (nicht mit dem Auto, zu Fuß oder per Bus), weil viele bei den Israelis arbeiten (ca. 50.000), wozu sie natürlich eine Erlaubnis brauchen. Der Mindestlohn dort sind 5.000 Schekel (1.250 Euro), in Palästina hat der Durchschnitt ca. 2.500 Schekel im Monat. Ron erzählte, im Kibbuz arbeiten seit vielen Jahren zwei Palästinenser aus Jerusalem, Vater und Sohn: sie fahren um halb 4 Uhr morgens los, um vor dem großen Run am Checkpoint zu sein. Sie brauchen dort dann nur eine halbe Stunde. Dann kommen sie um 6 Uhr im Kibbuz an und warten dort eine Stunde, bis die Leute aufstehen. Sie arbeiten dann bis nachmittags und fahren vor dem großen Andrang am Checkpoint (Wartezeiten bis zu drei Stunden) zurück. Dafür verdienen sie 7.000 Schekel, das ist fast dreimal so viel wie der Durchschnitt.

Geschützte Straße für Israelis.
Wir fuhren mit Ron zu einer Stelle, wo er in der 2. Intifada stationiert war mit seiner Brigade. Dort beschossen die Palästinenser drei Monate lang von einem Hügel in Ostjerusalem aus den gegenüberliegenden Hügel auf jüdischem Gebiet. Die Geschosse richteten kaum Schaden an, aber Ron sagte, sie mussten etwas tun, um nicht ihr Gesicht zu verlieren, denn direkt dort waren Fernsehkameras, die alles filmten. Also schossen sie zurück auf unbewohnte Häuser oder Baustellen im palästinensischen Viertel. Nachts war das ein schönes Spektakel, denn die arabischen Leuchtspuren waren grün und die israelischen rot. Es brachte nichts, war total nervig für die Einwohner, aber der Propaganda war genüge getan. Israelische Politiker müssen ständig beweisen, dass sie die Isreaelis beschützen. Sie hätten den Hügel der Palästinenser natürlich einnehmen können, da er aber A-Zone war, blieb man vorsichtig und veranstaltete drei Monate dieses Theater. Als dann die internationalen Beobachter zustimmten, bereiteten sie dem Spuk ein Ende. Es ist alles total kompliziert und verwickelt. 

Zonen A und B rot.
Es gibt große Probleme in den A-Zonen (unter palästinensischer Verwaltung). Wenn die isralische Armee dort jemand verhaften will, rufen sie fünf Minuten vorher bei der Polizei dort an. Die bleiben dann in ihren Stationen. Das israelische Militär fährt rein, umstellt das Haus, holt den Betroffenen heraus und fährt wieder ab. Die palästinensische Polizei muss dabei sehr darauf achten, nicht mit Israelischen Behörden in Verbindung gebracht zu werden. Die Bevölkerung darf nicht mitbekommen, wenn sie sich mit israelischen Sicherheitskräften koordinieren, weil sie sofort des Verrats beschuldigt werden. Also finden Absprachen und Kooperationen im Geheimen statt, d.h. teilweise "verrät" die palästinensische Polizei wirklich "ihr Volk", um des Friedens willen, um radikale Kerle loszuwerden. Sie sind froh, wenn sie Sicherheitsprobleme an die Israelis abgeben können, die mehr Kapazitäten haben und natürlich tausendmal professioneller sind.


In Jerusalem sind also die Stadtteile durch den Zaun getrennt. Wo es sehr gefährlich nah ist (von Fenster zu Fenster Beschuss möglich), gibt es eine Mauer (10 % der Grenze), denn 1 km Abstand vom Zaun kostet die Regierung ca. 1 Mio $. Teilweise stehen dort auch Kameras, die 10 km weit beobachten können, tag und nachts. Die werden von Soldatinnen bedient, weil die genauer und geduldiger sind als Männer. Sie sind Expertinnen für ihre jeweile Zone.
Es gibt eine Kommission, die sich genau die Grenze ansieht und ein Gericht entscheidet, wo es nicht mehr um Sicherheit sondern um Landnahme geht, dort wird die Grenze teilweise korrigiert. Die Grenzen sind auch deshalb veraltet, weil niemand mehr mit einem konventionellen Krieg (Angriff mit Panzern) rechnet, die Zeiten sind vorbei. Jetzt braucht man Schutz vor Terroristen.
Die Israelis bemühen sich teilweise, sehr korrekt zu sein, aber ich glaube, nicht in allen Bereichen. Das Millitär ist jedenfalls überwiegend vertrauenswürdig, es hat von allen Institutionen in Israel den besten Ruf.  

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